Trockenheit, Hitze, Schädlinge: Das Klima setzt den Schweizer Wäldern arg zu. Um sie zu retten, braucht es ein kleines Wunder: den Superbaum. Im basellandschaftlichen Muttenz wird danach gesucht. «Wir müssen gegenüber dem Klimawandel Zeit gutmachen», sagt Sven Hopf, der die Testpflanzung Hardwald wissenschaftlich begleitet. Doch wie soll das gehen?
Ausgerechnet den «Brotbaum» der Forstwirtschaft hat es am schlimmsten erwischt: Die Fichte, das mit Abstand beliebteste Bauholz der Schweiz, wird im Mittelland künftig einen schweren Stand haben. Viel zu heiss und zu trocken ist es hier mittlerweile für sie. Das macht sie nicht mehr lange unbeschadet mit. Die Dürreperioden der vergangenen Jahre haben dies in aller Deutlichkeit gezeigt. Die Folgen sind verheerend.
Aber nicht nur bei der Fichte: Unser Wald kommt insgesamt an seine Grenzen. Er kann mit dem Klimawandel nicht mehr Schritt halten, seit dieser immer mehr Dynamik angenommen hat. Evolution braucht nun mal Zeit. Und exakt dies ist das Problem. Genau wie das Gras, das nicht schneller wächst, wenn man daran zieht, verändern sich auch Bäume genetisch nicht einfach schneller, nur weil sich das Klima – menschenverursacht – verändert.
Bald schon werden viele Baumarten aufgrund von Hitze und Trockenheit einzig die Wahl haben, zu verdursten (wenn sie ihre Spaltöffnungen an den Blättern nicht schliessen, um die Verdunstung zu vermindern) oder zu verhungern (wenn sie es tun und damit die Photosynthese unterbinden). Schlechte Perspektiven.
Trotzdem besteht Hoffnung. «Wir müssen gegenüber dem Klimawandel Zeit gutmachen», sagt Sven Hopf vom Institut für Angewandte Pflanzenbiologie IAP in Witterswil (SO). Was er damit meint: Wir brauchen heute schon den Baum von morgen. Oder andersrum: Wir müssen in der Schweiz künftig Bäume anpflanzen, die auch unter jenen Bedingungen gedeihen, die bei uns in 50 oder 70 Jahren herrschen werden. Bäume also, welche die notwendige genetische Veränderung bereits hinter sich haben.
Doch wie soll das gehen? «Wir nehmen das Saatgut verschiedener, oft auch heimischer Baumarten, die infrage kommen, beispielsweise im Süden Europas. Denn dort haben sie sich bereits genetisch an das heissere und trockenere Klima gewöhnt.» Ob das tatsächlich funktioniert, wird in der Schweiz gerade in Testpflanzungen an unterschiedlichen Standorten untersucht.
Eine davon liegt im Hardwald bei Muttenz (BL). Sven Hopf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAP, betreut das Projekt, das 2009 von der Korporation Zug als eines der ersten dieser Art initiiert wurde und nichts weniger als den Superbaum der Zukunft hervorbringen soll. Oder am besten gleich mehrere Superbäume, denn eine gewisse Artenvielfalt ist nicht nur schön anzusehen, sondern überlebenswichtig: Es minimiert das Risiko eines Totalausfalls.
Auslöser für das grossangelegte Projekt waren die zunehmenden Probleme, welche die Korporation Zug als grosse Waldbesitzerin mit einzelnen ihrer Baumarten hatte. «Aufgrund des Klimawandels zeigte sich, dass gewisse Bäume den herrschenden Bedingungen nicht mehr gewachsen sind», sagt Ruedi Bachmann, der als Betriebsleiter Forst ein besonders grosses Interesse an einem gesunden Wald hat. «Wir haben uns deshalb zusammen mit dem IAP auf die Suche nach resistenteren Baumarten gemacht.»
Und das hat sich die Korporation Zug auch etwas kosten lassen. Weit über eine halbe Million Franken investierte sie bisher in ihre vier Testpflanzungen, die wohl noch Jahrzehnte weiterlaufen werden. Doch das sei sinnvoll investiertes Geld, meint Bachmann. Denn am Ende des Tages sei die Korporation, die nicht von Steuergeldern lebt, auch auf den Ertrag ihrer Wälder – also auf gesunde Bäume – angewiesen. Und das, so ist er überzeugt, würden wohl vermehrt Laubhölzer sein.
So wird im Hardwald und an drei weiteren Standorten in Baselland und Zug also nach Bäumen gesucht, die widerstandsfähig genug sind, um dem Klimawandel zu trotzen. Heisst: Sie müssen anpassungsfähig sein, Trockenheit und Hitze gut ertragen und sich gegen Schädlinge behaupten können. Ausserdem sollten sie möglichst viel CO2 binden und erst noch gute Erträge erwirtschaften. Denn am Ende kostet der Wald viel Geld, wenn er weiterhin jene Funktionen erfüllen soll, die wir heute ganz selbstverständlich von ihm erwarten: Nutzen, Schutz, Wohlfahrt und einen Beitrag zur Biodiversität. Ob das Experiment gelingt, steht noch in den Sternen. Solche Versuche dauern Jahrzehnte. Höchste Zeit also, dass in dieser Richtung etwas geht.
Das sagt auch Sven Hopf. Doch der gelernte Forstwart ist keiner, der auf Panik macht. Im Gegenteil. Er ist so unaufgeregt, dass einem die wahre Dramatik der Situation erst bewusst wird, wenn man sich seine Ausführungen ein zweites Mal durch den Kopf gehen lässt. Seine entspannte Art hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun, sondern damit, dass Hektik in seiner Arbeit grundsätzlich fehl am Platz ist. Die Natur braucht ihre Zeit. Das gilt auch für die Forschung, die sich mit ihr auseinandersetzt. Sie muss sich in Geduld üben. Bis verbindliche Aussagen über die Versuche gemacht werden können, dauert es gefühlt eine Ewigkeit. Erst dann zeigt sich auch, ob der Versuchsansatz überhaupt richtig war und ob die Modelle stimmen.
Der Versuchsansatz im Hardwald sieht folgendermassen aus: Auf rund einem Hektar Fläche wurden 2014 insgesamt acht Baumarten angepflanzt, welche die Anpassung an das wärmere, trockenere Klima von morgen schon durchgemacht haben: Tanne, Bergahorn, Buche, Esche, Lärche, Fichte, Douglasie und Traubeneiche. Ausser bei der Douglasie, die ursprünglich aus Amerika stammt, handelt es sich bei allen um heimische Baumarten.
Es mag auf den ersten Blick seltsam klingen, ausgerechnet jene Arten anzupflanzen, die unserem Klima ja nachweislich kaum mehr gewachsen sind, aber das Zauberwort heisst Provenienz: Herkunft. So sind eine Fichte aus dem Trentino, eine Tanne aus Kalabrien oder eine Buche aus Bulgarien genetisch bereits so stark angepasst, dass sie bei uns auch in 100 Jahren noch überleben könnten. Wenn sie heute bereits bei uns gedeihen, sind wir schon mal auf dem richtigen Weg.
Genau da liegt aber die Krux: Aufwachsen müssen die Superbäume der Zukunft unter jenen Bedingungen, denen sie in ihrer Heimat eben längst entwachsen sind, die bei uns aber noch herrschen. Dazu gehören beispielsweise der Spätfrost oder Nassschnee-Ereignisse. Die Eschen ihrerseits haben sich schon früh als Sorgenkinder herausgestellt. Hier hat die Eschenwelke, ein aus Ostasien eingeschleppter Pilz, zum Totalausfall geführt. Doch es gibt auch viel Positives: So zeigt sich beispielsweise, dass viele Bäume ihre «Charaktermerkmale» beibehalten. So wachsen Provenienzen aus dem Süden nicht nur dort langsamer, sondern auch bei uns. Mit anderen Worten: Es macht den Anschein, als ob sich die genetischen Eigenheiten halten würden.
«Es macht Freude, wenn man sieht, dass es funktioniert», sagt Sven Hopf. Aber ob es uns tatsächlich gelingt, dem Klimawandel ein Schnippchen zu schlagen? «Von der Forschungsseite her werden wir eine Lösung für die Forstwirtschaft finden», ist er überzeugt. «Aber was wir wirklich in den Griff bekommen müssen, ist der Klimawandel selbst. Wenn er in diesem Tempo weitergeht, reichen auch unsere Massnahmen nicht mehr.»
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Selbst wenn wir den einen oder anderen Superbaum finden sollten, wissen wir noch nicht, wie er sich auf das gesamte Ökosystem auswirken wird. Was geschieht mit Insekten, Vögeln und anderen Pflanzenarten? Doch darum werden wir uns kümmern müssen, wenn es so weit ist. Denn die Zeit läuft.
«Aber was auch immer geschieht: Der Wald wird nicht verschwinden, auch wenn unsere Experimente scheitern sollten», sagt Sven Hopf und betrachtet fast zärtlich das dürre Ästchen einer Esche. «Er wird unter Umständen einfach nicht mehr unseren Vorstellungen entsprechen, also möglicherweise keine schönen Baumstämme mehr haben oder weniger Schutz und Wohlfahrt bieten. Dies zu verhindern, ist unsere Herausforderung.»