In einem Pionierprojekt haben Schindler und die Holzbaufirma Renggli einen modularen Aufzugsschacht entwickelt und montiert. Die Aufzugstechnik wurde in den Holzmodulen gleich miteingebaut.
Beim Holzbau ist nicht nur der Rohstoff speziell. Auch die Bauweise unterscheidet sich stark. Holzbau ist Trockenbau. Dabei werden die Elemente weitgehend im Werk vorgefertigt, auf die Baustelle transportiert und dort zusammengebaut. Während vor 15 Jahren noch «nackte» Wand- oder Bodenelemente vorgefertigt wurden, gehört es heute zum Standard, dass die einzelnen Module so weit vorgefertigt werden wie möglich: Dämmung, Fenster, Türen, Elektroinstallationen oder Rohrleitungen sind in der Regel schon eingebaut. «Wir versuchen, den Grad der Vorfertigung stets zu erhöhen», sagt Andreas Keller, Leiter der Ingenieurabteilung bei der Firma Renggli AG mit Sitz im luzernischen Schötz.
Kein Wunder, haben die Holzbauer dabei auch den Aufzugsschacht unter die Lupe genommen. «Seit 2017 haben wir in diversen Projekten mit Aufzugsschächten aus Holz Erfahrungen gesammelt.
An der Vielzahl an realisierten Schächten hat sich gezeigt, dass der Holz- und der Aufzugsbau sehr ähnliche Ansprüche und Vorstellungen an Präzision und Modularität haben. Auch setzen beide Branchen seit jeher auf eine möglichst hohe Vorfertigung», sagt Keller. Die Vorfertigung des Aufzugsschachts sei für sie nur der nächste logische Schritt gewesen.
In 30 Kilometer Entfernung, am Hauptsitz der Schindler Aufzüge AG in Ebikon, knobelte Raphael Bitzi, Projektmanager New Technologies, an derselben Problemstellung herum. «Die Vorfabrikation ist ein grosses Thema in der Baubranche. Nicht nur im Holzbau. Die Installation eines Aufzugs auf der Baustelle braucht Zeit und Platz. Hier sind wir immer wieder mit Fragen unserer Kundinnen und Kunden konfrontiert, ob sich Teile oder auch Prozessschritte vorfertigen lassen», erzählt Bitzi.
Wie es der Zufall so will, sassen Andreas Keller und Raphael Bitzi eines Tages an einer Sitzung am selben Tisch. «Das war der Startschuss für das Projekt Aufzugsschacht 2.0», sagt Bitzi. Im Anschluss starteten der Holzbauer Renggli und die Aufzugsherstellerin Schindler im Winter 2021 ein ambitioniertes Pilotprojekt. Das Ziel: einen Holz-Aufzugsschacht mitsamt Aufzugstechnik im Werk entwickeln, produzieren und vorfertigen. Mit der Siedlung Waldacker in St. Gallen war das perfekte Objekt gefunden. Die Wohnüberbauung ist komplett aus Holz und umfasst zwei Längsbauten à 100 Meter mit total 110 Wohnungen. Die Firma Renggli agierte als Generalplanerin und Totalunternehmerin, Bauherrschaft war die Previs Vorsorge aus Bern.
Geplant wurden stockwerkhohe Aufzugsschachtmodule. Was einfach und naheliegend klingt, stellte die Projektteams der beiden Firmen bei genauer Analyse dennoch vor einige grosse Herausforderungen. «Wir mussten eine Vielzahl an Schnittstellen definieren und klären», erzählt Bitzi. Der Schacht musste beispielsweise so konstruiert sein, dass dieser mit der Aufzugstechnik sicher transportiert und montiert werden konnte. «Auch mussten die Aufzugselemente in den Schachtmodulen so angebracht werden, dass sie bei der Baustellenmontage von Element zu Element punktgenau aufeinanderpassten», sagt Bitzi.
Doch die Entwickler, Technikerinnen und Handwerker konnten diese und viele weitere Hürden überwinden. Nach der Planung wurden die Aufzugsmodule in den Räumlichkeiten von Schindler am Hauptsitz in Ebikon vorgefertigt. Das Team von Renggli setzte die Aufzugsmodule zusammen, das Team von Schindler baute danach die Aufzugstechnik ein.
Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen: «Für dieses Pilotprojekt kamen die zwei Monteure von Schindler St. Gallen zu uns nach Ebikon, welche die Aufzugsmodule dann auch in der Wohnüberbauung Waldacker montierten», erzählt Bitzi. Danach wurden die Module von Ebikon nach St. Gallen transportiert. In nur sechs Monaten war der Aufzugsschacht entwickelt, gebaut und montiert und das Pionierprojekt war vollendet.
Für Bitzi gibt es zahlreiche Vorteile der Vorfertigung des Aufzugsschachts. Kundenseitig seien diese vor allem auf der Baustelle spürbar: «Wir können bei einem Bauprojekt den Aufzug viel früher in Betrieb nehmen und übergeben, da wir einen grossen Teil der Montagearbeiten schon gemacht haben.» Auf der Baustelle gewinnen die Kundinnen und Kunden dadurch Zeit. Der Aufzug kann dadurch beispielsweise früher als Baustellenaufzug für den Innenausbau genutzt werden, was temporäre Fassadenaufzüge überflüssig machen könne.
Auch werde der Platzbedarf auf der Baustelle reduziert: Die Aufzugselemente sind bereits verbaut und brauchen keinen Lagerplatz. Betrachte man die Vorarbeiten in der Werkstatt, sinke der Gesamtaufwand, den ein Aufzugsprojekt in Anspruch nehme, aber nicht, betont Bitzi.
Die Vorfertigung in der Fabrik ist aber für den zweiten grossen Pluspunkt verantwortlich: die Sicherheit der Mitarbeitenden. «In der Werkstatt finden die Arbeiten in einem kontrollierten Umfeld statt. Die Monteurinnen und Monteure befinden sich nicht in grosser Höhe. Schweres Material wie etwa der 250 Kilogramm schwere Antrieb kann viel einfacher und sicherer an seinen Bestimmungsort gehoben werden», sagt Bitzi.
Auch Andreas Keller sieht bei der Analyse des Pilotprojekts die eingesparte Zeit auf der Baustelle als grössten Vorteil: «Die gewonnene Zeit vor Ort ist erheblich – gleichzeitig werden die Toleranzen reduziert», sagt er.
Neben dem Einsatz bei Neubauprojekten hat für ihn diese Bauweise grosses Potenzial bei Umbau- und Sanierungsvorhaben im urbanen Bereich. «So können solche Aufzugssysteme künftig innert weniger Stunden bei bestehenden Gebäuden ein- oder angebaut werden. Dies mit einem Minimum an Störung bei den Bewohnerinnen und Bewohnern und in der Nachbarschaft», so Keller.
Könnte denn der Grad der Vorfertigung beim Aufzugsschacht und beim Aufzug selbst noch erhöht werden? «Durchaus», ist Bitzi überzeugt. Er kann sich vorstellen, dass in Zukunft auch die Kabine bereits in einem vorgefertigten Holzschachtmodul fixfertig auf die Baustelle geliefert werden könnte. Das wäre dann das nächste Pionierprojekt.