Holz ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheitsgeschichte. Der Klimawandel rückt ihn wieder ins Rampenlicht. Dank Digitalisierung und Innovation werden im Holzbau Grenzen gesprengt, die unüberwindbar schienen – vor allem in der Vertikalen.
Ob auf Pfählen, als Riegelbau oder Blockhütte: Seit der Mensch vor mehr als 10 000 Jahren sesshaft wurde, benutzt er Holz, um seine Wohnstätten zu bauen. Mit gutem Grund: Das Baumaterial war stets in grosser Menge verfügbar, ist von geringem Gewicht und lässt sich mühelos bearbeiten. Über die Form einfacher Behausungen kamen Holzbauten aber selten hinaus: Bei grossen und hohen Gebäuden setzte der Mensch seit jeher lieber auf Stein, später auf Stahl und Beton. Holz galt im Hochbau lange als unsicher und instabil. Bis 2015 war es in der Schweiz sogar gesetzlich verboten, mehr als sechs Stockwerke hoch mit Holz zu bauen.
Diese Zeiten sind passé. Im letzten Jahrzehnt hat ein regelrechter Boom den Holzbau und insbesondere den Hochhausholzbau erfasst. Weltweit wachsen Holzhäuser plötzlich in schwindelerregende Höhen. In Milwaukee (USA) wurde im Juli 2022 mit dem «Ascent Tower» das derzeit höchste Holzhochhaus der Welt eröffnet. Lediglich das Fundament, die Aufzugsschächte und die Treppenhäuser sind aus Stahlbeton, der Rest des 86,6 Meter hohen Gebäudes – inklusive des Tragwerks – besteht aus Holz. Auch die Schweiz ist in diesem Wettstreit ganz vorne mit dabei: In Winterthur soll in den nächsten Jahren das 32-stöckige, 100 Meter hohe Holzhaus «Rocket» entstehen. Das wäre Weltrekord – zumindest vorübergehend.
Was hat diesen rasanten Wandel verursacht? Aus Sicht von Professor Thomas Rohner von der Berner Fachhochschule (BFH) spielte der Klimawandel eine entscheidende Rolle. Dieser sei in den letzten Jahren noch stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt, was dem Holzbau einen massiven Schub verliehen habe. «Das Klima gibt uns den Bauplan vor», sagt Rohner. «Wer klimagerecht bauen will, setzt automatisch auf einen hohen Holzanteil.» Denn im Gegensatz zu Beton, dessen Herstellung zwar billig ist, aber viel Kohlendioxid (CO2) verursacht, ist Holz, das CO2 speichert und langfristig bindet, über den ganzen Lebenszyklus betrachtet CO2-neutral. Dieses Argument verfange bei Architekten, Ingenieurinnen und Bauherren immer besser, beobachtet Rohner: «Wer heute etwas auf sich hält, baut mit Holz.» Allein im Zeitraum zwischen 2012 und 2018 habe die stoffliche Nutzung von Holz in der Schweiz um 10 Prozent zugenommen, so Rohner. Bei öffentlichen Gebäuden verzeichnete Holz als Baumaterial gar ein Plus von 72 Prozent.
Das gestiegene ökologische Bewusstsein bildete den perfekten Nährboden für eine andere Entwicklung, die gleichzeitig stattfand: ein technologischer Innovationsschub, sowohl beim Material als auch bei der Bauweise. «In den letzten Jahrzehnten wurden Holzwerkstoffe entwickelt, die bei viel geringerem Gewicht so druckfest sind wie Beton und so tragfähig wie Stahl», erklärt Thomas Rohner. Dazu gehören das Brettsperrholz, das meist für Wände und Böden verwendet wird, sowie das Brett- oder Stabschichtholz, welches das tragende Skelett eines Gebäudes bilden kann. Beide Werkstoffe bestehen aus dünnen, miteinander verleimten Hartholzschichten oder -stäbchen, was sie enorm widerstandsfähig macht. «Sowohl bezüglich Statik als auch Brandschutz haben diese Innovationen den Holzbau revolutioniert», sagt Rohner.
Wer klimagerecht bauen will, setzt automatisch auf einen hohen Holzanteil. Denn im Gegensatz zu Beton, dessen Herstellung zwar billig ist, aber viel Kohlendioxid (CO2) verursacht, ist Holz, das CO2 speichert und langfristig bindet, über den ganzen Lebenszyklus betrachtet CO2-neutral.
Thomas Rohner, Professor Berner Fachhochschule
Gleichzeitig fand die Holzbauindustrie eine Lösung für das Problem, dass Holz auf Baustellen nur bei trockener Witterung verbaut werden kann: Die Bauelemente werden industriell vorgefertigt. Die Digitalisierung ermöglicht es, ganze Projekte am Computer zu planen, die 3D-Modelle an hochpräzise Maschinen zu übermitteln und so im geschützten Rahmen einer Werkhalle immer grössere Holzbauelemente vorzufertigen. Auf der Baustelle müssen diese Bauteile nur noch eingesetzt werden. «Diese Fertigungsprozesse sind viel besser beherrschbar als die Prozesse auf einer Baustelle», sagt Thomas Rohner. «Das verstehen alle, die je in Gummistiefeln auf einer Baustelle im Matsch standen, während es von oben in den Kragen tropfte.» Die Konsequenz: Der Holzbau wurde gegenüber dem traditionellen Massivbau immer schneller, sicherer, qualitativ besser und kostengünstiger.
Im zürcherischen Rümlang lässt sich diese Entwicklung gut beobachten. Dort betreibt der führende Schweizer Bau- und Immobiliendienstleister Implenia eine Produktionshalle für Holzbau-elemente. 2017 wurde die Fläche des Betriebs um rund ein Drittel vergrössert, heute stellen hier mehr als 40 Fachleute riesige Wand-, Decken- und Dachelemente für eigene Bauprojekte, aber auch für Dritte her. Die bis zu 40 Quadratmeter grossen Elemente werden bis ins Detail vorgefertigt, inklusive Brand- und Schallschutz, Fassadenaufbau und sogar mit eingebauten Fenstern. «Noch vor wenigen Jahren waren bei uns Aufträge mit einem Volumen von 5 Millionen Franken etwas Besonderes», sagt Beda Weber, der als Teamleiter Ausführung die Planung, Produktion und Montage der Elemente verantwortet. «Heute sind Aufträge, bei denen wir mehr als 50 000 Quadratmeter an Elementen mit einem Wert von 8 bis 15 Millionen Franken herstellen, keine Seltenheit mehr.»
Mit dem eingangs erwähnten Weltrekordprojekt «Rocket» in Winterthur sowie dem 80 Meter hohen Hochhaus «Pi», das in Zug entstehen soll, unterstreicht Implenia die strategische Bedeutung, die der Holzbau für das Unternehmen inzwischen hat. «Nachhaltiges Bauen wird heute verlangt», sagt Beda Weber. «Der Trend zum Holzbau dürfte sich noch verstärken.»
Bei Schindler klingt es ähnlich. Schon heute baut der Aufzugskonzern jeden zehnten Aufzug in ein Holzhaus ein. «Wir wollen das nachhaltige Bauen fördern», sagt Julian Stähli, Head Product Management New Installation & Modernization bei Schindler. «Das bedeutet, dass wir den Kundinnen und Kunden die Möglichkeit bieten wollen, mit den Baustoffen ihrer Wahl zu arbeiten. Der Aufzug darf nie eine Einschränkung darstellen, und er darf schon gar nicht der Grund sein, warum man Beton verwenden muss.» Im konventionellen Massivbau würden der Aufzugsschacht und das Treppenhaus meist gemeinsam, als statisch tragendes Element, aus Beton konzipiert, so Stähli. Aber schon heute bietet Schindler einfache und modulare Lösungen an, mit denen Aufzüge auch direkt in die brandgeschützten Holzaufzugsschächte eingebaut werden können. In Zukunft will Schindler den Holzschacht und den Aufzug als fertiges Modul anbieten: Gemeinsam mit dem Luzerner Holzbauer Renggli wurde ein Holzaufzugsschacht mit integrierter Aufzugstechnik entwickelt, der auf der Baustelle in wenigen Minuten montiert werden kann.
Der Trend ist eindeutig: Der Holzbau dürfte auch in der Schweiz weiter an Bedeutung gewinnen. Dies, obwohl Holz ein vergleichsweise teurer Baustoff ist und bleibt, insbesondere dann, wenn er aus der Schweiz kommt, was beim nachhaltigen Bauen entscheidend ist. «Es findet ein Paradigmenwechsel statt», ist BFH-Professor Rohner überzeugt, «weg vom Kostendenken und hin zum Qualitätsdenken.» Holz sei nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozialer, ästhetischer und psychologischer Hinsicht ein überlegener Baustoff: «Es fühlt sich einfach besser an, in Holz zu wohnen, zu lernen oder zu arbeiten.» Holz müsse ganzheitlicher betrachtet werden, findet Rohner. «Es verbessert unser Klima, es schützt und beruhigt uns und es steigert unsere Lebensqualität. Holz ist nicht teuer. Holz ist wertvoll.»